Nachdem ich die 100. Bewerbung in meine Tabelle übertragen hatte, habe ich aufgehört, sie weiter zu führen. Jetzt müssen wir alle mit meiner Schätzung leben. Das ist die Antwort auf meine etwa 140. Bewerbung:

Screenshot einer automatisierten Mail, die ich auf eine Bewerbung erhalten habe. Text: Convact C Das Recruiting Team Hallo Ulrike,vielen Dank für deine Bewerbung für die Position:SEO Manager (m/w/d) mit Agentur-Erfahrung gesucht! [100% Homeoffice] Derzeit screenen wir alle eingegangenen Unterlagen.Sollte dein Profil unseren Anforderungen entsprechen, werden wir bzgl. der nächsten Schritte auf dich zukommen.Wir bitten dich also um etwas Geduld und werden dich schnellstmöglich wieder kontaktieren! Mit den besten Grüssen C.

Screenshot einer automatisierten Mail auf eine Bewerbung


Und hier steht jetzt endlich auch mal, was mittlerweile wohl der übliche Ablauf nach einer Bewerbung ist:

Sollte dein Profil unseren Anforderungen entsprechen, werden wir uns bzgl. der nächsten Schritte auf dich zukommen.

Das fasst wohl realistisch zusammen, warum ich von einem Drittel der Unternehmen und Institutionen, bei denen ich mich beworben habe, nie wieder was gehört habe. Dieses Verhalten, verantwortliche Personalabteilung, ist respektlos. Ihr sucht Mitarbeitende? Nehmt am gesamten Bewerbungsprozess teil.

Etwa zur gleichen Zeit habe ich von Stepstone eine Servicemail erhalten, warum Unternehmen mich auf meine Bewerbungen hin nicht kontaktieren. Das war natürlich eine Variation ihres Newsletters und keine Mail an mich persönlich, schon klar. Eine Frechheit ist es aber obendrein: Stepstone hat genug Daten von mir, um zu ermitteln, in welchem Bereich ich mich für welche Art Stellen bewerbe, auch meine Unterlagen liegen in meinem Profil. Aber klar,  hypothetisch könnte es auch daran liegen, dass ich fehlerbesetzte Anschreiben versende, meine Unterlagen unvollständig sind, ich generisch statt bezugnehmend auf die Stelle schreibe. Was man als Stellenportal aber auch in den Raum stellen könnte: Viele Unternehmen und auch öffentliche Einrichtungen haben ein bestenfalls ausbaufähiges Bewerbungsmanagement. Bei vielen stellt sich aber die Frage: Was ausbauen?

Für eine Bewerbung investiere ich zwischen 30 Minuten und drei Tagen. Erstere Zeitangabe bedeutet, ich recherchiere quer, ob es passen könnte, AG ist mit einem Lebenslauf für einen ersten Einblick zufrieden. Bis zu drei Tage brauche ich, um zur Stelle und dem Arbeitgeber zu recherchieren, mit ihnen per LinkedIn oder Xing in Kontakt zu treten und dann, weil es angefordert wird, das komplette Paket mit Zeugnissen, Lebenslauf und individuellem Motivationsschreiben zu verfassen und zusammenzustellen. Das scheint unverhältnismäßig lang? So ist das, wenn man in einer Branche tätig ist, die hochindividuelle Anforderungen stellt und auch von theoretisch Arbeitenden Arbeitsbeispiele sehen will. Und darauf kommt von der Seite, die diese Bewerbung angefordert hat, nicht mal eine automatisierte Nachricht an all jene, die sie nicht kennenlernen wollen.

Ich weiß nicht, was Personalabteilungen 2025 tun. Bei einem früheren AG habe ich mehr von HR mitbekommen als gut für mich war. Mittlerweile haben viele HR-Abteilungen anscheinend ihr Hühnerknochen-Wurfsystem auf die KI übertragen und fühlen sich technologisch in ihrem Unvermögen bestätigt.

Statt die KI wertschätzende und angemessen terminierte Rückmeldungen und auch Absagen koordinieren zu lassen, setzt man sie ein, um nach Alter und Familienmitgliedern zu sortieren? Die Arbeitsagentur sagt mir, ich muss doch nichts davon in meiner Bewerbung aufnehmen. Na klar, jahrelange unkommentierte Lücken statt Elternzeiten bleiben sicher ebenso unentdeckt wie der Rückschluss, dass jemand mit Diplom wohl älter ist als die Bachelorjahrgänge.

Dazu noch die Lowlights:

Stadt, Land, Ministerien bieten besonders gern prekäre Arbeitsverträge an. Die Jahresverträge sind weit verbreitet Standard, einfach weil’s geht. Im Sommer habe ich habe bei einem Ministerium ein Konstrukt der 70-Tage-Basis ohne Sozialversicherung aufgetan. Es bedeutet kurz gesagt, dass man einfach alle paar Monate aufhört, für sie zu arbeiten (in der Stelle gab es einfach zwei Stellen, damit sie das ganze Jahr über versorgt waren) – immer dann, wenn eigentlich Urlaubsansprüche oder Sozialversicherung anstünden. Man sollte meinen, man arbeitet da Hand in Hand: Wohlwissend, dass solche Beschäftigungsverhältnisse soziale Absicherungen abbauen, bieten gerade sie Verträge, die einen nicht absichern obwohl man arbeitet. Da beschwer sich noch jemand, die linke Hand wüsste nicht, was die rechte tut.

Öffentliche Stellen, also die, denen man nachsagt, sie würden nur Dienst nach Vorschrift machen und jedes Engagement missen lassen, melden sich mit weitem Abstand übrigens am häufigsten nie wieder nach der automatisierten Eingangsbestätigung. Hätte ich mein Studium so bestritten und meine Unterlagen mal eingereicht, und mal nicht, hätte ich noch immer keinen Abschluss, mit dem ich mich heute bei dort bewerben könnte. Um mich dann dafür ghosten zu lassen. Es hat ja auch keine Konsequenzen für AGs. Aber vielleicht stimmt das so nicht und der Fachkräftemangel hat bereits voll zugeschlagen und das hier beschriebene sind einige der Auswirkungen.

tbc
Da zähle ich auf euch.

Teil 2 von vielen